Handaufzucht eines Kronentokos (Tockus alboterminatus)

Bericht und Bilder: Elisabeth Schlumpf, Voliere am Mythenquai, Zürich

Kronentokos werden in der Schweiz ausschliesslich in der Voliere am Mythenquai in Zürich gehalten. Nachdem die Leiterin der Voliere, Elisabeth Schlumpf, bereits über die Elternaufzucht berichtete, schreibt sie hier über die Handaufzucht eines Kronentokos. Da die Voliere am Mythenquai mitten in der Stadt Zürich liegt, werden die Vögel immer wieder durch Lärmereien an Sommerfesten und durch Anlässe gestört. Das hat auch dazu geführt, dass der junge Kronentoko von Hand aufgezogen werden musste.

Leider finden fast alle Festivitäten der Stadt Zürich rund um das Seebecken statt, wie etwa die StreetParade, das Zürifest, Sportanlässe oder Sonderfeste. Auch die Bewohner von Zürich nutzen an jedem schönen Abend den Park, um zu grillen, zu baden, die Freizeit zu geniessen, Musik zu machen, und dies alles oft zum Leid unserer Vögel in der Voliere am Mythenquai. Besonders Feste wie das Zürifest, das drei Tage und Nächte dauert, bereitet unseren Vögeln eine schlaflose und stressige Zeit. Im Jahr 2018 fand das ominöse Formel-E-Rennen statt. Drei Wochen vor dem Rennwochenende begann schon der lärmende Aufbau. Das hohe, schrille Motorengeräusch war schon bei den Testrennen für die Ohren unserer Vögel der Horror. Die Stelzenläufer riefen den ganzen Tag durcheinander, der Turako schrie unaufhörlich Alarm und alle versuchten, in den Innengehegen Schutz zu finden. Doch das schrille Zischen der Rennwagen drang durch alle Ritzen. Dauernd klingelte irgendein Bauarbeiter an der Tür, um nach Strom oder sonst etwas zu fragen. Der Tierrettungsdienst wurde oft mit den kleinen Patienten nicht durchgelassen, und der ganze Park um uns rum war mit grossen Lastwagen zugeparkt. Am Rennwochenende liefen die Zuschauer sogar bei uns auf dem Dach rum

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 ca. 90 Tage

Elisabeth Schlumpf in der Besucherhalle der Voliere am Mythenquai mit ihrem von Hand aufgezogenen, flugfähigen jungen Kronentoko. Hier ist er etwa 90 Tage alt.

Unglück vermeiden

Das Weibchen des Kronentoko hatte sich schon zwei Wochen lang eingemauert. Es sass auf drei Eiern. Letztes Jahr, auch am Rennwochenende, hatte es seine Jungvögel, kurz nach dem Schlupf, zweimal aus dem Nistkasten geworfen. Ob es die Störungen von draussen waren, die es nervös machten? Ich wollte dies auf keinen Fall noch ein drittes Mal erleben! Noch so ein kleiner, kalter, Toko von der Erde aufnehmen, nein!

Also stibitzten wir dem Weibchen die Eier, durchleuchteten sie, und das eine, wertvolle, befruchtete Ei legten wir in den Brutkasten. Unser Paar ist nicht mehr das Jüngste, und, soviel ich weiss, das einzige Brutpaar in der Schweiz. Die zwei anderen Eier legten wir wieder in den Nistkasten zurück, so dass die Altvögel ihren Brutvorgang abschliessen konnten.

Ein Kronentoko schlüpft

Das Zürifest stand vor der Tür! Am 31. Mai abends bemerkte ich voller Freude ein kleines Loch in der Eihülle!

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Das Ei des Kronentoko ist angepickt.

Der Schlupfvorgang hatte begonnen. Doch musste ich noch bis zum 2. Juni ungeduldig warten. Frühmorgens war es soweit. Der Kleine hat es geschafft, sich aus dem Ei zu befreien. Da lag ein kleiner, erschöpfter «Dinosaurier» mit langem Hals, nackt und riesigen, geschlossenen Augen da. 9 Gramm schwer!

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Junger Kronentoko am 2. Juni 2019, frisch nach dem Schlupf.

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Der kleine, frisch geschlüpfte Kronentoko am 3. Juni; er sieht einem Dinosaurier ähnlich.

Um 10 Uhr bekam er nach zaghaftem Fiepsen und erster Kotabgabe seine erste Nahrung: Eine viertel Wachsmotte, getunkt in Wasser, das mit Lactobakterien angereichert war. Am ersten Tag fütterte ich ihn dann alle Stunde mit Lacto, Korvimin und Wachsmotten. Doch schon am Nachmittag war sein Hunger so gross, dass er eine halbe, zwei Tage alte Maus erhielt. Ansonsten fütterte ich Wachsmotten, Heimchen ohne Beine, mit Lactobakterien und Korvimin bestreut. Ich fütterte bis nachts um 24 Uhr, und dann um 4 Uhr früh wieder; ab dem zweiten Tag, alle zwei Stunden, und ab dem dritten Tag alle drei Stunden, aber immer bis nachts um 24 Uhr. Es gibt unterschiedliche Meinungen zu den Fütterungszeiten bis in die Nacht, doch es hat so funktioniert.

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Der junge Kronentoko am 10. Juni.

Analog der Elternaufzucht

Ich hatte noch nie einen Toko aus dem Ei grossgezogen. Da kamen mir meine eigenen Aufzeichnungen der Naturbrut unserer Tokos zugute, die ich im GF Nr. 3/15 publiziert hatte. Ich hatte mir damals genau notiert, welches Futter, und in welchem Zeitintervall, das Männchen durch den schmalen Spalt zum eingemauerten Weibchen brachte. Das Weibchen war oft nicht zufrieden, und so gab es die Happen wieder zurück. Das Männchen musste sie besser verarbeiten. Ab dem Schlupf blieben plötzlich die Zophopas liegen, und Heimchen, Heuschrecken und Babymäuse wurden solange im Schnabel kunstvoll hin und her jongliert, bis das Weibchen zufrieden war.

Was hiess das? Die Flügel der Heuschrecken sowie die Beine mit ihren Widerhacken mussten weg, und die Mäuse wurden solange im Schnabel geknackt, bis alles weich war. Das war also für mich eine nicht so schöne Aufgabe! Ich reichte die Babymäuse anfangs ohne Kopf, da ich nicht so erpicht darauf war, sie weich zu klopfen. Und den Heuschrecken und den Heimchen schnitt ich die Flügel und Beine ab. Ich legte die INsekten allerdings vorher in den Tiefkühler.

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Am 17. Juni im Alter von zwei Wochen.

Immer lauter

Zuhause hatte ich, wie schon oft, alles eingerichtet, um den kleinen Toko mit Wärme und Feuchtigkeit zu versorgen. Also gab es wieder einmal ein Schild an eines meiner Zimmer mit der Aufschrift «Sperrbezirk». Mein Herz klopfte anfangs jedes Mal bis an den Hals, wenn ich den Deckel öffnete, und ich wurde noch aufgeregter vor Sorge, als ich den kleinen auf der Seite oder platt auf dem Bauch vorfand. Ganz schnell habe ich ihn angetippt, bis ich bemerkte, dass sein grosser Kopf mit seinem langen Hals einfach zu schwer war, um wie andere Vögel zu schlafen. Auch beim Füttern musste ich seinen Kopf halten. Sein Appetit wurde immer grösser und im Auto, beim täglichen in die Voliere und wieder nach Hause fahren, wurde er auch immer lauter.

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Am 21. Juni im Alter von 20 Tagen.
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Kopfansicht des jungen Kronentokos im Alter von 30 Tagen.

 

Probleme mit Luftablaugerung

Doch da kam der Tag X, der achte Tag. Welcher Züchter kennt den Tag X nicht! Da hatte sich Luft unter seinen Schultern angesammelt – und es wurde immer mehr. Mein erster Anruf galt natürlich Dr. Peter Sandmeier, dem auf Vögel spezialisierten Tierarzt. Könnte es sich um eine Überdehnung handeln, war die Luftfeuchtigkeit zu tief? Infektionen konnten wir ausschliessen. Ein bisschen abwarten? Doch die Luft wurde immer mehr und reichte bis tief in den Rücken. Meine grosse Sorge war, dass sich das ganze Bindegewebe lösen könnte. Das würde das Aus bedeuten. Ich möchte nie, dass ein Lebewesen leiden muss wegen meines Egoismus. Doch gab ich auch nicht so schnell auf, da der Appetit und die Lebensgeister des kleinen Tokos so gross waren! Mit Absprache des Tierarztes habe ich an drei Tagen in die grossen Luftblasen gestochen, natürlich mit einer gut sterilisierten, abgefackelten Nadel, um die Luft rauszudrücken! War ich erstaunt, was für eine dicke Haut die Tokos haben. Es wurde besser! Nur noch kurz vor der Fütterung, wo er sich offensichtlich vor lauter Gier aufregte, füllten sich die Stellen mit Luft, doch sie entleerten sich auch wieder schnell. Zwei Wochen später, als er wirklich sehr stabil war, stellte ich ihn bei Dr. Peter Sandmeier vor. Der Vogeltierarzt war über den Zustand des jungen Kronentokos äusserst zufrieden.

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Der junge Kronentoko wuchs rasant, hier, am 11. Juli, ist er schon 40 Tage alt und voll befiedert.

Am Boden herumhüpfen

Der Kronentoko wuchs rasant. Die Schwanzfedern wuchsen langsam senkrecht in die Höhe. Seine Wimpern, die das ganze Auge umfassen, wurden auch immer länger. Ab dem 14. Tag frass er alle drei Stunden drei Babymäuse und drei mittlere Heuschrecken, und es wurden immer mehr. Seine Neugier wuchs, denn anders als bei der Naturbrut, war er natürlich mit äusseren Eindrücken früher konfrontiert. Zuhause war er mein kleiner «Hupfvogel», der alles am Boden untersuchte. Er liebte es auch, mit mir draussen in der Sonne zu sitzen. Wenn er am Himmel Greifvögel sah, schaute er äusserst interessiert deren Flugmanövern zu, doch wenn eine Rabenkrähe in der Nähe war, verkroch er sich hinter meinem Rücken. Ich merkte auch, dass meine Wohnung nicht vogelsicher war, denn der Kleine schnappte sich alles mit seinem Schnabel. Sehr interessant war jedoch zu beobachten, dass sich der Junge in der Handaufzucht genau gleich entwickelte wie diejenigen in der Naturbrut.

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Der Appetit auf junge Mäuse war gross. Junger Kronentoko am 15. Juli.

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Interessant ist das Sonnenbaden, hier im Alter von 45 Tagen am 16. Juli.

Erster Flug

Es war die achte Woche. In diesem Alter flog der erste Jungtoko bei der Naturbrut aus dem Nistkasten. Wir sassen am Boden. Der Kleine schaute mich an, und in dem Moment öffnete er seine Flügel und flog über meinen Kopf hinweg. Das war so überwältigend! Und er genoss es! Er schoss bei mir um die Ecken, klaute fliegend eine Peperoni aus meiner Hand, einfach herrlich, was für geniale Flugkünstler sie sind. Ja, aber landen muss gelernt werden.

Dann kam der zweite Schreckensmoment. Er hörte damit auf, viel zu fressen! Ab dem 50. Tag verweigerte er immer mehr die Nahrung und nahm ab. Ich habe ihm alles angeboten, was er vorher doch so gierig gefressen hat. Ich war froh, wenn er sechs Mäuse und Heuschrecken, ein paar Früchte und Wachsmotten pro Tag frass. Verzweiflung pur! Doch dank dem Beobachten und den Erinnerungen an seine Eltern merkte ich, dass mit der Flugfähigkeit auch die Nahrungsmenge angepasst wird. Es sind äusserst feine, leichte Flugakrobaten, die auch ihren Flüssigkeitsbedarf nur über ihre Nahrung aufnehmen. Ihre Überlebensstrategie ist perfekt an ihre Heimat in Afrika angepasst.

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Im Alter von zwei Monaten.

Abnabelungsprozess

So wie bei einer Naturbrut ist nach ungefähr drei Monaten der «Welpenschutz» vorbei, und die Jungvögel werden verjagt, auf dass sie sich ein eigenes Revier suchen. Genau nach 90 Tagen habe ich begonnen, den Kleinen, der zwar protestierte, über Nacht in der Voliere zu lassen. Der Abnabelungsprozess war wahrscheinlich schwieriger für mich als für ihn. Ich bin sehr dankbar für diese wundervolle Erfahrung.



Gewichtstabelle Kronentoko
„Gewichtstabelle“

Die Gewichtsentwicklung des jungen Kronentokos. (Tabelle: Elisabeth Schlumpf)

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Elisabeth Schlumpf gelang die Handaufzucht eines jungen Kronentokos. Hier ist er 85 Tage alt.

Zur Autorin

Elisabeth Schlumpf leitet seit 20 Jahren die Voliere am Mythenquai. Dort werden besondere, exotische Vögel gezüchtet und jährlich weit über 1000 Wildvögel aufgezogen. Zudem betreibt die Voliere am Mythenquai auch eine Ferienstation. Durch eine Mitgliedschaft unterstützt man die wichtige Arbeit der Voliere am Mythenquai. Weitere Informationen auf: www.voliere.ch
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